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Essay: Wie umgehen mit Rechtspopulisten

Warum die Brandmauer keine Argumente ersetzt

Wir sollten Rechtspopulisten nicht dämonisieren, sondern mit ihnen einen Diskurs um die Sache führen. Nicht nur die CDU muss eine Antwort darauf finden, wie man mit fast einem Viertel der Bevölkerung umgeht, die anders denkt. Ein Essay von Rafael Binkowski. 

CDU-Chef Friedrich Merz und Generalsekretär Carsten Linnemann ringen um den richtigen Umgang mit den Rechtspopulisten.

dpa/Michael Kappeler)

Stuttgart. Der Wahlkampf steht seit der großen Aufregung im Bundestag und dem Anschlag von Aschaffenburg unter einem neuen Zeichen. Die Migrationsdebatte überlagert das eigentlich prägende Thema, die Wirtschaftskrise. Die CDU hat mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz versucht, strategisch der AfD das Heft des Handelns zu entreißen. Nach der gescheiterten Abstimmung zu ihrem „Zustrombegrenzungsgesetz“ kann man ganz objektiv sagen: Das war wenig glücklich.

Merz hat viel Porzellan zerschlagen, ohne etwas zu erreichen. Ohnehin wäre die Abstimmung nur symbolisch gewesen. Alle demokratischen Parteien haben kein gutes Bild abgegeben. Nötig wäre nach der furchtbaren, ja entsetzlichen und verstörenden Bluttat das Gegenteil gewesen: eine besonnene Reaktion, ein Zusammenrücken der Parteien der Mitte. Gar eine Verständigung auf Gegenmaßnahmen im Konsens.

Alle demokratischen Parteien haben Fehler gemacht

Dies ist nicht nur an der CDU gescheitert, auch SPD und Grüne wollten wenige Wochen vor der Wahl die Gelegenheit nutzen, ihre Basis zu mobilisieren. Jetzt gehen wieder in Demokratiebündnissen Zehntausende auf die Straße, diesmal jedoch ohne CDU-Beteiligung. Freuen über all dies dürfte sich die AfD, die über Wochen im Fokus der medialen Öffentlichkeit steht.

Und die Erfahrung zeigt: Wenn Migrationspolitik die Agenda bestimmt, profitieren am Ende nur die Rechtspopulisten. Man erinnere sich an den Landtagswahlkampf 1992, damals plakatierte die Union „Asylproblem lösen, CDU wählen.“ Als Folge zogen die Republikaner mit 10,9 Prozent in den Landtag ein, für die damalige Zeit eine Sensation.

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Hinter Rechtspopulismus stehen ungelöste Probleme

Und dennoch erfordert die politische Lage eine differenziertere Betrachtungsweise. Eine konservative Partei wie die CDU/CSU muss Antworten darauf finden, dass fast ein Viertel der Wähler eine Partei rechts von ihr wählt. Und auch eine liberale, bürgerliche Mehrheitsgesellschaft, der ein Teil der Wählerschaft zu entgleiten droht. Hinter dem Zustrom für Rechtspopulisten stehen ungelöste Probleme. Objektiv muss in der Migration mehr gesteuert und begrenzt werden. Wenn auch die Zerrbilder von „unkontrollierter Massenwanderung“ und daraus angeblich resultierender Kriminalität wenig mit der Realität zu tun haben.

Dass die öffentliche Infrastruktur nicht mehr funktioniert und die Politik keine Lösungen anbietet, die Ampel im Streit endet, all das sorgt für Demokratieverdruss. Und es ist auch eine Realität, dass es eine Entkoppelung einer linksliberalen bis progressiven vorwiegend in den Großstädten wohnenden Bildungselite von Teilen der konservativ denkenden, eher in Kleinstädten oder auf dem Land lebenden Mittelschicht gibt.

Auch die Medien müssen sich hinterfragen

Dies spiegelt sich auch in der medialen Betrachtung des Konflikts wieder. Konservative Medien wie die FAZ oder die Springer-Presse loben Friedrichs Merz Vorstoß, der gefühlten Mehrheit im Volk zum Durchbruch zu verhelfen. Linksliberale Medien wie die taz, der Spiegel oder die Süddeutsche betonen den Tabubruch beklagen den Fall der Brandmauer.

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Auch hier gilt: Darin steckt ein wahrer Kern, Medienschaffende müssen den kontrafaktischen und teils rechtsradikalen Kern der AfD hinterfragen und kritisch aufarbeiten. Dennoch dürfen sich Journalisten nicht zu Tugendwächtern aufschwingen, die den Wählern erklären, wer ein guter und wer ein schlechter Demokrat ist. Deswegen bildet übrigens die Staatsanzeiger-Redaktion die AfD in der selben Größe wie die anderen Parteien ab. Spricht die kritischen Punkte aber offen an.

Wir müssen wieder um die Sache zu streiten lernen

Und darin liegt vielleicht die Crux: Die Gesellschaft, die Medien und auch die Parteien haben verlernt, hart und offen um die Sache zu streiten. Warum stellt man die Rechtspopulisten nicht in einem Faktenduell, indem man ihre Konzepte hinterfragt? Meistens steckt hinter den großspurigen Parolen wenig Substanz, was sich leicht entlarven lässt. Das ist viel effektiver, als sie dämonisieren, was nur ihre Opferrolle befördert.

Auch Journalisten müssen eine Antwort darauf finden, dass es eine Art rechtspopulistische Gegenöffentlichkeit gibt. In TV-Talkshows sieht man immer öfter Vertreter dieses Spektrums. Vielleicht müssen wir es einfach lernen, solche Gegensätze auszuhalten. Das Dilemma, in dem sich Medienleute, Politiker auch die einfachen Bürger vor Ort befinden, ist vielleicht gar keines, sondern schlicht gelebter Pluralismus.

Und dann könnten wir uns in diesem Wahlkampf endlich über das wirklich Wichtige unterhalten: über Rezepte gegen die Wirtschaftskrise.

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